Artikel: KI und Beschaffung 4
Einsatz von KI in Vergabeverfahren
Nachdem die ersten drei Beiträge dieser Reihe einen Überblick über aktuelle Marktentwicklungen und Herausforderungen bei der Beschaffung von IT / KI, sowie Empfehlungen für die Beschaffung von IT mit KI-Anteilen und KI gegeben haben, geht dieser Beitrag nun in Richtung praktischer Ansätze für Vergabestellen: Wie kann KI hier helfen?
Wie wir alle wissen, durchläuft eine Vergabe unterschiedliche Phasen. Zwar werden Teils unterschiedliche Begriffe verwendet, im Grunde werden aber die folgenden Phasen durchlaufen (insofern anwendbar):
- Vergabevorbereitung
- Teilnahmeantrags & Angebotsphasen mit Bieterfragen,
- Prüfungs- und Wertungsphasen
- Verhandlungsphasen, bzw. Gespräche
- Zuschlagsphase mit Entscheidungsfindung, und Absageschreiben
Folgend ist eine einfache Übersicht von Aktivitäten, in denen KI, Stand heute, unterstützen könnte. Hierbei ist zu bedenken, dass hierzu aktuell kaum Angebote am Markt gibt – aber dazu später:
Bedarfsermittlung
- Auswertung historischer Beschaffungs- und Nutzungsdaten zur Prognose zukünftiger Bedarfe
- Mustererkennung über Vergabedaten mehrerer Auftraggeber zur Identifizierung sinnvoller Bedarfsbündelungen
Markterkundung
- Schnellere und tiefere Marktinformationen und -recherchen als über klassische Suchverfahren
- Sprach- und länderübergreifende Analyse von Marktinformationen
- Abgleich von Leistungsbeschreibungen und Zuschlagskriterien mit tatsächlichen Marktfähigkeiten
Leistungsbeschreibung und weitere Vergabeunterlagen
- Textgenerierung und Vorlagen: Entwürfe für Leistungsbeschreibungen oder Teilabschnitte durch moderne Sprachmodelle (LLMs)
- Analyse von Vergabeunterlagen auf Widersprüche, Lücken oder Unklarheiten
- Vorschläge für geeignete Eignungs- und Zuschlagskriterien je Beschaffungssegment inkl. Priorisierung
- Erstellung komplexer Excel-Wertungsmatrizen
- Vorbelegung von eForms-Feldern auf Basis der Inhalte der Vergabeunterlagen
Beantwortung von Bieterfragen
- Formulierung konkretisierender Abwägungen zu eingegangenen Bieterfragen
- Antwortvorschläge auf Basis der gesamten Vergabeunterlagen
- Sicherstellung der Konsistenz aller Antworten im Kontext bereits beantworteter Fragen
Prüfung und Wertung
- Erster Vollständigkeitsabgleich der Angebote
- Prüfung auf formale Korrektheit
- Konsolidierung und Aufbereitung von Wertungsergebnissen
- Visualisierung und Darstellung von Wertungsergebnissen
- Automatisierte Vorauswertung objektiver Bewertungskriterien
- Hervorhebung besonders relevanter Textstellen für die Wertung
- Unterstützung bei der Bewertung spezieller Kriterien (z. B. Nachhaltigkeitsanforderungen)
- Schnelle Navigation zwischen zusammengehörigen Antworten und Dokumenten
- Aufdeckung von Auffälligkeiten und Widersprüchen in Angeboten oder Vergabeunterlagen
- Perspektivisch: Erkennung von Indizien für Bieterabsprachen (z. B. über ML-Modelle großer eVergabe-Plattformen)
Protokollierung
- Transkription von Gesprächsinhalten
- Zusammenfassung von Mitschriften und Gesprächsprotokollen
Entscheidungsfindung und Absageschreiben
- Plausibilitätsprüfung der Entscheidungsgrundlagen
- Entwurf von Anschreiben
- Strukturierte Dokumentation der Entscheidungsgründe
- Automatisierte Entwürfe von Absageschreiben
Zusammengefasst bietet KI entlang aller Prozessschritte zahlreiche mögliche Unterstützungsfunktionen.
Wenn die (datenschutz-)rechtlichen, rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen stimmen.
Wir bei der WeCon Beratungsgesellschaft mbH beraten unsere Kunden in allen Technologien, wenn es um Verbindungen zwischen Mensch und Maschine geht. Unser Motto "consult to connect" steht dabei im Mittelpunkt unseres Handelns.
In Deutschland existiert eine Reihe etablierter E-Vergabeplattformen, über die öffentliche Auftraggeber ihre Ausschreibungen elektronisch abwickeln, wie z.B. Produkte von AI, Cosinex. Diese Plattformen wickeln den gesamten eVergabe Prozess ab (Bekanntmachung, Bereitstellen der Vergabeunterlagen, digitale Angebotsabgabe, Bieterkommunikation, Zuschlagserteilung).
Wie lässt sich KI in solche Plattformen integrieren? Hier sind zwei Aspekte zu unterscheiden: zukünftig ggf. mögliche KI-Funktionen in den Plattformen selbst und technische Integrationsschnittstellen.
Solange diese Plattformanbieter keine echten Mehrwertfunktionen – auf Basis KI – selbstständig in Ihre Plattformen integrieren, sind die entsprechenden Möglichkeiten recht schmal – bzw. rar. Nach den letzten mir bekannten Informationen sind die geplanten plattformseitigen KI-Funktionen noch recht unambitioniert. Wobei es viele Ansatzpunkte gäbe, die echte Mehrwerte liefern würden (siehe Tabelle oben).
Alle Vergabelösungen bieten zwar Standardschnittstellen an, um mit anderen Systemen zu kommunizieren – jedoch ist die Gestaltung der Plattformen m.E.n. heute noch nicht auf die Integration externer KI-Funktionen ausgelegt, bzw. ausreichend vorbereitet.
Denkbar wäre es (die Betonung liegt hier auf denkbar), z.B. eine KI-Assistent in der Oberfläche des VMS erscheinen zu lassen, die kontextbezogene Hilfestellungen gibt. Technisch würden diese Module dann die vorhandenen Schnittstellen nutzen, um im Hintergrund auf KI-Modelle zuzugreifen. Der Mehrwert wäre allerdings auch recht begrenzt.
Davon abgesehen könnten externe KI-Funktionen lediglich vorgelagert (im internen Prozess vor Einstellen der Vergabe) als auch nachgelagert (etwa im Angebotscontrolling) halbwegs sinnvoll „andocken“.
Vergabestellen sollten also im Auge behalten, welche Updates ihre Plattformen, oder Konkurrenzplattformen erhalten.
Um die erwähnten (datenschutz-)rechtlichen, rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen zu erfüllen, spielt das Betriebsmodell der KI-Lösung natürlich eine entscheidende Rolle.
On-Premise: KI-Systeme auf der eigenen Infrastruktur zu betreiben, ist möglich, wenn auch anspruchsvoll und nicht kostengünstig. Daten verlassen nicht das Haus, und es gelten erst einmal die gleichen Sicherheitsmaßnahmen wie für andere interne Verfahren. On-Prem kann bedeuten, eine fertige zugekaufte KI-„Appliance“ zu betreiben oder eigene KI-Modelle (Open Source) aufzusetzen. Mit allen Vor- und Nachteilen. Und jede Aktivität der Tabelle oben bedeutet hier eigentlich einen eigenen Use-Case. Einfach eine LLM mit Chatfenster zu installieren wäre für Vergabestellen relativ wenig hilfreich. Übrigens ist es in der Regel noch „unempfehlenswerter“ eine lokale LLM auf normalen Arbeitsrechner oder Laptops zu installieren (Performance).
EU-Cloud: Viele Anbieter (Microsoft, Google, OpenAI via Azure, etc.) bieten an, KI-Services ausschließlich in EU-Rechenzentren auszuführen. Zudem gibt es europäische Cloud-Anbieter (z. B. Deutsche Telekom Open Telekom Cloud), die KI-Plattformen bereitstellen. Hier wird in der Regel mehr Aufwand für Sicherheit betrieben als OnPremise. Man betreibt die KI in diesem Sinne jedoch selber. Mit allen Vor- und Nachteilen.
SaaS Cloud: Hier kaufen Sie sich eine geeignete KI-Funktion von einem Anbieter ein. Der Entsprechende Markt für Hilfe bei Vergabeverfahren ist noch recht überschaubar – jedoch wird bei diesen Angeboten in der Regel dem Thema Datenschutz eine hohe Aufmerksamkeit gewidmet.
Verschiedene KI-gestützte Lösungen sind bereits heute verfügbar, die speziell auf die Bedürfnisse öffentlicher Vergabestellen ausgerichtet sind. Die folgenden Inhalte spiegeln lediglich hier auch meine persönliche Sicht und Einschätzung wider – und sind stellen keine Markterkundung o.ä. dar. Daher sind hier auch nur Lösungen aufgeführt, die für mich sichtbar, bzw. greifbar sind.
GovRadar ist ein Münchener Start-up, dessen Software öffentliche Auftraggeber per KI in die Lage versetzt, Leistungsbeschreibungen zu generieren. Hierzu nutzt GovRadar eine umfangreiche Vergabedatenbank mit KI-Suche und Textbausteingenerierung.
Vergabestellen erhalten so beim Erstellen einer Leistungsbeschreibung Vorschläge für Formulierungen, die sich an Texten ähnlicher Verfahren orientieren.
Aus meiner Sicht und letzten Tests ist das mögliche Potential für Verbesserungen und Weiterentwicklungen dieser Software noch lange nicht ausgeschöpft. GovRadar steht erst am Anfang. Allerdings bietet GovRadar schon heute echte und sich lohnende Mehrwerte. Zudem erscheint das Team hinter GovRadar seine Lösung äußerst nutzerfreundlich und zukunftsgerichtet weiterzuentwickeln.
GovMind sammelt und sammelt und analysiert Informationen über innovative und digitale Lösungen für den öffentlichen Sektor. Die Plattform erlaubt nach neuen Technologien, Produkten und Anbietern zu recherchieren. KI kommt dabei zum Einsatz, um aus riesigen Datenmengen Wissensprodukte zu generieren – z. B. Übersichten, welche Lösungen es für ein bestimmtes Problem gibt.
Leider hatte ich noch keine Gelegenheit diese Software zu testen. Soweit erkennbar, plant GovMind auch eine KI-gestützte Leistungsbeschreibungserstellung und verfügt auch über eine riesige Vergabedatenbank. In dem Sinne sehe ich GovMind perspektivisch als direkten Wettbewerber zu GovRadar.
Im Vergabeverfahren tauchen oft juristische Fragen auf – von der Verfahrensartwahl bis zur Beantwortung von Rügen. Zwar darf eine KI keine Rechtsberatung im eigentlichen Sinne für die Vergabestelle durchführen, aber als Recherche- und Strukturierungshilfe ist sie wertvoll. Das Reguvis Produkt fragXpert greift auf eine entsprechende Vergabedatenbank zu, um z.B. schnell Urteile, oder generative Antworten und vergaberechtlichen Fragestellung zu erhalten.
Aus meiner Sicht und ersten Tests ist fragXpert hier wirklich hilfreich und den üblichen LLMs überlegen.
Natürlich lassen Sich mit geeigneten allgemeinen Angeboten auch einzelne Aktivitäten per allgemeiner LLM – gewissermaßen als Quick-Win – realisieren. Solche Quick-Wins sind möglich, aber man bewegt sich oft inoffiziell, da intern noch keine klaren Freigaben existieren.
Einige Vergabestellen experimentieren auch offiziell in dieser Richtung: Direkt mit allgemeinen KI-Tools wie ChatGPT oder Gemini erste Entwürfe für Leistungsbeschreibungen zu erstellen. Diese Tools sind nicht spezifisch für Vergabe trainiert, können aber durchaus sehr passende Texte liefern, da sie bei richtiger Nutzung äußerst detailliert oder auch pointiert sein können. Hier ist allerdings höchste Vorsicht geboten! Stichwort: Datenschutz.
Der für mich mit Abstand beste Use-Case für öffentliche Verwaltungen ist: LLM + Rag-System für eAkte und Datenablagen.
Viele Leser fragen sich vermutlich an der Stelle: Was ist das?
Stellen Sie sich vor:
Sie sind an Ihrem Rechner und erhalten eine kleine Anfrage. Sie öffnen diese und fangen an zu lesen. Dann sehen Sie: Es geht um Straßenbeleuchtung. Ihr Referat. Sie sind vor ein paar Monaten in dieses Referat gewechselt. Und sie fragen sich: Haben wir zu diesem Thema nicht schon einmal geantwortet? Und beginnen an zu recherchieren: eAkte, Dateiablagen, Archiv, Erinnerungen von Kollegen..
Wer von Ihnen kennt das nicht?
Ein RAG-System würde diese Recherche in vielen Fällen überflüssig machen. Dieses könnte innerhalb von Sekunden, passend zu der Anfrage, jegliche Kommunikation, Dokumente etc.. finden, welche der Anfrage thematisch ähneln. Und das auch ganz ohne Halluzination.
Wäre das nicht lebensverändernd?
Typischerweise lässt sich ein RAG wie folgt beschreiben:
1. Die internen Dokumente werden segmentiert (Chunking) und in Vektoren (Embeddings) umgewandelt. Diese Embeddings speichert man in einer lokalen Vektor-Datenbank.
2. Eine Abfrage des Nutzers wird ebenfalls als Vektor abgebildet und mit den gespeicherten Vektoren verglichen, um die passenden Textbausteine zu finden.
3. Diese gefundenen Texte (z.B. die x relevantesten Passagen) werden zusammen mit der Nutzerfrage als Prompt an ein LLM geschickt.
4. Das LLM erzeugt eine Antwort, die idealerweise Zitate oder Verweise auf die gelieferten Passagen enthält.
5. Antwortausgabe: Die Antwort wird dem Nutzer angezeigt, angereichert mit Quellenangaben. Oder eine Liste der Quellen.
In einer hybriden Variante können einzelne Teile eines solchen Systems auch unterschiedlich verteilt sein: Beispielsweise könnten Embeddings und Vektorensuche On-Premise (oder in der Cloud) laufen, während das LLM via Cloud-API angebunden ist. Hier kenne ich auch schon gute Anbieter aus Deutschland, welche diese Leistung aus deutschen Rechenzentren anbieten, oder beim Kunden direkt aufbauen.
Zum Thema Rechte und Dokumente mit Geheimhaltungsstufen gibt es technisch auch schon Ansätze, wie z.B. dass das LLM von bestimmten Quellen keine Texte erhält, sondern nur Dokumenten IDs. Diese Dokumente könnten wiederum nur von Personen mit den entsprechenden Rechten (manuell) gesichtet werden.
In Summe stehen KI-Werkzeuge für vergaberechtliche Anforderungen in den Startlöchern. Wichtig ist, dass Sie sich überlegen, wie Ihnen eine KI insbesondere bei aufwändigen, anspruchsvollen oder sich wiederholenden Aufgaben am besten helfen könnte. Bei korrekter Anwendung hilft die KI nicht nur bei Effizienzgewinnen, sondern kann sogar eher ein Hüter der Vergaberegeln sein.
Und das Sie KI als eine Art Helfer und nicht Entscheider verstehen – und erst recht nicht als Ersatz für den Menschen.
Die Devise lautet: Chancen nutzen, Risiken beherrschen – dann überwiegen die Vorteile von KI in der öffentlichen Beschaffung klar die möglichen Nachteile.
Und wenn Sie eine Software kennen, die Sie mir ans Herz legen würden: Geben Sie gerne Bescheid.